DreylandDichterweg

Gerhard Jung

1926–1998, Zell im Wiesental und Lörrach

Grenzegänger

s Lebe n isch nit grenzelos.
s Lebe n isch e Los mit Grenze.
s goht vum dunkle Muetterschoß
dur e chalti, schmali Stroß
zum e Grab voll Chränze.
Un uf jedem Schritt un Tritt,
schleppe mir au Grenze mit;
Grenze, wo n is trenne,
trenne vu de andre Zit,
andre Lebe, andre Lüt,
wo mer no nit chenne.
We mer s Lebe
recht will bstoh,
mueß mer tapfer übregoh,
s würd all eng un enger.
Jedi Zit bruucht allweg scho
ihri Grenzegänger!

Aus: Loset, wie wärs?, 1983

Jede Zeit braucht ihre Grenz- und Grenzengänger, die das unnötig Trennende zwischen uns Menschen überbrücken.

 

Gerhard A. Jung, 1926 in Zell im Wiesental geboren, kam durch seinen Vater Karl, einen leutseligen Tierarzt und guten Erzähler, der selbst auch hunderte von Gedichten geschrieben hat, viel auf den Bauernhöfen herum und wurde früh mit Land und Leuten vertraut. Seine Leidenschaft an Theaterspiel und Vortrag entzündeten sich schon in der Kinderschule. 17jährig wurde er als Flakhelfer mit dem Grauen des Bombenkriegs konfrontiert; sein Einsatz als Panzergrenadier in Frankreich ließ ihn zum „Drückeberger aus Überzeugung“ werden. Nach Verwundung und schwerer Herzerkrankung geriet er in französische Gefangenschaft. Er war „körperlich und seelisch nur noch Schrott“. Da an Studieren nicht mehr zu denken war, wurde er Unterrichtsbeamter bei der Post, wo er 1980 wegen der Kriegsfolgen als Amtsrat  in den vorzeitigen Ruhestand versetzt wurde.

In seinem umfangreichen schriftstellerischen Schaffen in Mundart und Hochsprache stand eine christlich-humane, auf Ausgleich, Frieden und Verständigung bedachte Haltung im Vordergrund. Er warb für Sorgfalt im Umgang mit der Natur und Bewahrung der Schöpfung. Und als naturverbundener Wanderfreund und langjähriger Redakteur des Vereinsorgans „Der Schwarzwald“, als Mundartreferent und Hauptfachwart für Heimatpflege bekannte er sich in einem ungebrochenen Sinn zu den Werten von Heimat und Brauchtum sowie zum Erhalt von Tracht und Dialekt. In seinem meisterlichen Umgang mit  traditionellen und modernen Dichtformen brachte er die alemannische Mundartdichtungstradition in der Nachfolge von Johann Peter Hebel auf einen abschließenden Höhepunkt.

Sein Oeuvre wurde 1974 mit dem Hebel-Preis des Landes Baden-Württemberg ausgezeichnet. Neben vielen anderen Auszeichnungen erhielt er außerdem den Landestheaterpreis sowie den  Oberrheinischen Kulturpreis. Er wurde Ehrenbürger der Gemeinden Zell und Hausen im Wiesental und erhielt 1997 das Bundesverdienstkreuz. Mit seiner Frau Klara trat er oft gemeinsam als Interpret seiner zahlreichen selbstgeschriebenen und -komponierten Lieder auf. Ca. 20 Bücher, über 60 Theaterstücke und Hörspiele, über 50 Lieder, von ihm selbst und namhaften Komponisten vertont, drei Bildbände, einige Festschriften und vieles mehr entstammen seiner Feder. Die bekanntesten, in vielen Auflagen erschienenen Gedichtbände sind D Heimet uf em Wald (1960), Schmecksch de Brägel (1966), Wurzle un Blatt (1968),  Bettmümpfeli (1971), Wo ane gohsch? (1973), Rutsch e bizzeli nöcher (1977), Uf de Schwelle (1980), Proscht Gürgeli (1983), Loset, wie wär s (1983), Sonnenwende (1985), E Flämmli glüeht (1987), Souvenierli us em Schwarzwald (1991), Mit e me Bleistiftstümpli (1995), Seifiblodere (1995), Herrgott, isch des schön (1996).

Markus Manfred Jung und Manfred Bosch

Über d Grenze

Über d Grenze schlön unseri Herze,
über d Grenze brennt wie ne Füür,
lütet wie Glocke un leuchtet wie Cherze
unseri Liebi, Heimet, zue dir.

Wie bisch im Noche un Chliine verwobe,
im tägliche Schaffe, im tägliche Traum;
un bisch doch wider drus uffeghobe
in zite- un grenzelose Raum.

Chennsch keini Schranke un achtsch keini Muure,
gisch di nit gfange an Gitter un Tür.
Bisch frei in allem. Solang si mag duure
unseri Liebi, Heimet, zue dir.

Über d Grenze sin Herzbrucke gschlage.
Herrgott! Mr hän bloß en einzigi Bitt:
Möge si Fride un Freundschafte trage,
solang aß es Mensche un Menschlichkeit git.

aus: Wo ane gohsch, 1973

Mensch un Grenze

Wie guet isch s, aß es Grenze git.
Will erst im Überwinde
sich d Mensche zsämmefinde
zum Schaffen an de Zit.

Was d Mensche ussewändig trennt,
sell loßt si innewändig binde,
wenn unter ihre ruuche Rinde
e Herz schlat, wo für s Gueti brennt.

Für echti, frohi Menschlichkeit
sin d Grenze keini Muure,
wo bösi Gwalte luure
uf bösi Glegeheit.

Für echti, frohi Menschlichkeit
sin d Grenze nüt as Brucke
zum nöcher zsämmerucke;
allem Trenne z leid.

aus: Uf de Schwelle, 1980