DreylandDichterweg

Lina Ritter

1888–1981, Village-Neuf / Neudorf

Worum trennt uns e Rhi?
Àss mìr zeige chenne
wia me Brucke bäut.

Ar chà nìmme sundgauisch schwätze.
Ar ìsch viarzeh Tag
z’Pàris gsì.

Wer si Müeter vergìsst,
ìsch nìt normàl.
Wer si Müetersproch vergìsst …

Der Rhein trennt uns, dass wir zeigen können, wie man Brücken baut.
Er kann nicht mehr den Sundgauer Dialekt reden, er ist vierzehn Tage in Paris gewesen.
Wer seine Mutter vergisst, ist nicht normal, wer seine Muttersprache vergisst …

Leben und Werk

Lina Ritter ist eine elsässische Dichterin des XX. Jahrhunderts. Sie schreibt in Hochdeutsch und im elsässischen Dialekt.

Sie stammt aus einer Familie von Gemüseanbauern von Neudorf. Ihr Vater stirbt, als sie 3 Jahre alt ist. Das kleine Waisenkind hat im sehr jungen Alter Freude am Lesen, erweist sich als sehr talentiert und begabt und voller Idealismus. 

Nach der Grundschule in Neudorf geht sie aufs Internat in Saint-Louis und besucht dann die „Höhere Mädchenschule“ in Mülhausen. Sie nimmt dann Privatstunden in Latein und Philosophie beim Pfarrer von Brinkheim. An der Universität Basel studiert sie als fleißige Gasthörerin Literatur und Kunstgeschichte.

Gleichzeitig wächst in ihr der Wunsch und das Bedürfnis ihre Ideen und Gefühle, die sie empfindet, in Gedichten und Prosatexten auszudrücken. Es ist der Anfang eines bedeutenden literarischen Werkes mit Gedichtbänden (u.a. die originellen elsässischen Haiku), Theaterstücken, und dem erfolgreichen Roman über das Werk und Leben von Martin Schongauer, der 1940 in Dülmen erscheint.

Lina Ritter heiratet 1919 Paul Potika, einen Juristen, der im Elsass von deutschen Eltern geboren ist. Sie lebt zuerst in Ettlingen, dann in Baden-Baden und schließlich in Freiburg. Die Verbindung zu ihrer Region und ihrem Geburtsort reißt nie ab. 

Lina Ritters poetisches und literarisches Werk wird von einem Leitgedanken beherrscht: eine Brücke bauen von einem Rheinufer zum anderen, im Interesse eines gegenseitigen Verständnisses und einer fruchtbaren Zusammenarbeit zwischen Frankreich und Deutschland. 

Der Kindergarten in Village-Neuf trägt ihren Namen. Er stammt aus dem Jahre 1953. Damals zählt die „Lina Ritter Schule“ zwei Klassen. 1992 wird sie von Grund auf renoviert und zählt 106 Schüler. 2014 zählt sie 6 Klassen: 3 einsprachige und drei zweisprachige, betreut von 7 Lehrkräften.

Das Werk: Peter von Hagenbach

Das Stück, Peter von Hagenbach, wurde kurz vor dem Ersten Weltkrieg verfasst und ist erstaunlich modern geblieben. Indem sie eine Figur inszeniert, die zur Geschichte des Rheinlands gehört, prangert Lina Ritter die Fallen des Populismus an, das Abdriften der absoluten Herrschaft. Sie behauptet mit Macht, dass in jedem Wesen, selbst in dem größten Tyrannen, die Fähigkeit zur Vergebung, zur persönlichen Läuterung steckt.

Annette, ein einfaches und zierliches Mädchen, das in der Lage ist, einen Tyrannen zu verwandeln, indem sie ihm den Sinn für das Gute wieder einflößt, verkörpert die Macht der Liebe. 

Als Sängerin der Liebe zur Heimat, des Humanismus, der deutsch-französischen Verständigung ist Lina Ritter mehr denn je durch ihr Werk lebendig.

Lina Ritter ruht auf dem Friedhof von Village-Neuf. Auf dem Grabstein ist einer ihrer zahlreichen Haikus eingraviert, der auch auf dem „Dreiland-Dichterweg“ zu sehen ist: „Worum trennt uns e Rhi? Àss mìr zeige chenne, wia me Brucke bäut.“ (Warum trennt uns ein Rhein? Dass wir zeigen können, wie man Brücken baut.)